Bereits im Jahre 2003 erschien im Verlag Theiss unter dem Titel "Die Welt der Götter im alten Ägypten Glaube, Macht, Mythologie" vorliegendes fundierte Werk, das insbesondere Hobby-Ägyptologen begeistern dürfte. Richard H. Wilkinson, Professor der Ägyptologie, ist Autor des Buches und gilt als einer der besten Kenner von Mythologie und Religion im alten Ägypten. Das aus dem Englischen übersetzte Werk bietet grundlegende wissenschaftlich ausgewertete Erkenntnisse zur Welt der Götter vor und hauptsächlich während der pharaonischen Zeit.
Wunderbar illustriert, mit vielen farbigen Fotos versehen sowie Strichzeichnungen und Schwarzweiß-Bildern, welche die ganze Thematik noch besser veranschaulichen, gewinnt ein jeder interessierter Leser umfassende Einblicke in die geheimnisvolle Mythologie der alten Ägypter.
Die Typografie fällt zwar etwas klein und filigran aus, so dass man verhältnismäßig viel Text auf den Seiten hat, doch es den Lesefluss ein wenig erschwert. Dafür sind aber die Abbildungen sehr großzügig verteilt.
Unterteilt in fünf Hauptkapitel denen eine Einleitung vorausgeht, macht der größte Teil der sogenannte "Katalog der Gottheiten" aus worin aufgrund der sehr hohen Anzahl lediglich (aber trotzdem) sämtliche bedeutenden und die meisten unbedeutenden Götter und Göttinnen verzeichnet und mehr oder weniger ausführlich beschrieben sind, je nach Gewichtung. In diesem Katalogteil finden sich eingangs auch "Gruppen von Gottheiten" (z.B.: Numerische Gruppierungen, Gottheiten der Tore, Gau-Gottheiten) und danach die einzeln vorgestellten Gottheiten. Da die Fachwelt bislang nicht weniger als 1500 Gottheiten(!) kennt, würde es den Rahmen des Buches sicherlich sprengen, alle vorzustellen, wobei von vielen so gut wie nichts Wesentliches bekannt ist.
Alleine diese große Anzahl läßt ahnen wie vielfältig und vielschichtig die spirituelle Welt jener Gottheiten sich einst offenbarte, bzw. die alten Ägypter schufen. Widmet man sich all den einzeln beschriebenen Göttern und Göttinnen, die nach ihrem Äußeren im Buch geordnet sind dies soll dem Leser bei der Identifizierung helfen ist es ratsam sich vorab mit den ersten vier Hauptkapitel zu beschäftigen. Außerdem soll diese o.g. Sortierung den Vergleich sowie die Gegenüberstellung von Gottheiten ähnlichen Typs erleichtern; dies System versetzt den Leser am besten in die Situation, Gottheiten in nützlichen Kontexten zu betrachten.
Um zu einem tiefgreifenden Verständnis in Bezug auf das Zusammenspiel all der Rituale, der Glaubensinhalte und verborgenen Strukturen der damaligen Gesellschaft zu gelangen sollte man also die ersten vier Kapitel nicht außer Acht lassen. Schließlich existierten jene Gottheiten auch nicht isoliert voneinander sondern in einer dynamischen Wechselbeziehung.
Im ersten Kapitel "Aufstieg und Fall der Götter" berichtet der Autor über die Entstehung, die Herrschaft und den Niedergang der ägyptischen Götter. Für deren Herkunft liefern uns beispielsweise Mythen (Schöpfungsmythen, u.a.) wichtige Hinweise. Und selbst Götter waren sterblich, doch galten für sie kosmische Verhältnisse ... was dies bedeutet erklärt der Autor in jenem Kapitel. Die Entstehung selbiger reicht jedenfalls bis in prähistorische Zeiten und ihr Ende war, geschichtlich betrachtet, mit dem Aufstieg des Christentums und später des Islams, besiegelt.
Das zweite Kapitel "Das Wesen der Götter" behandelt dazu die Themen: die Gestalten des Göttlichen, Erscheinungsformen der Götter sowie Ägypten und der Monotheismus. Hierin beschreibt der Autor die ganze Vielfalt sichtbarer und unsichtbarer Existenz göttlicher Formen; sogar Hieroglyphen wurden bei den alten Ägyptern manchmal als Götter betrachtet. Ein weiterer sehr interessanter Aspekt der altägyptischen Religion kommt hier auch noch zur Sprache, nämlich der, ob die Ägypter einst polytheistische oder monotheistische Tendenzen prägten.
Nachfolgendes Kapitel "Die Verehrung der Götter" beschreibt den Götterkult, die Volksreligion und Frömmigkeit sowie der Umgang mit dem Göttlichen. Die altägyptische Religion konzentrierte sich weit weniger auf abstrakte theologische Ideen, Bekenntnisse oder Glaubenslehren, sondern viel mehr auf individuellen und kollektiven Götterdienst. Unablässig Dienst wurde an den Göttern vollzogen um das kosmische Gleichgewicht zu erhalten und um zu verhindern, dass Chaos in die Welt eindrang.
"Das Königtum und die Götter" mit den Unterkapiteln: Zwischen Göttern und Menschen, Verstorbene und das Göttliche, das Königtum in der Götterwelt war ohne die Götterwelt undenkbar. Wohl zu keinem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte war die Ideologie des Königtums stärker mit religiösen Überzeugungen verflochten, wie einst in Ägypten. Was hat es mit der Doppelnatur (Gott-König) des irdischen Königs, der als Inkarnation des großen Gottes Horus fungierte, auf sich? War der König nun ein Gott oder "nur" göttlich? Worin bestand der Unterschied zwischen einem lebenden und einem toten König? All dies und noch viel mehr wird in diesem Hauptkapitel detailliert und gut verständlich beantwortet. Der Leser findet sich leserlich in Sphären wieder, die ihn diese spirituelle Welt der Götter, als unschwer realistisch erkennen lassen.
"Katalog der Gottheiten": Hat man sich somit vertraut gemacht, mit der enormen Komplexität, die die Welt der ägyptischen Götter ausmacht und charakterisiert, ist man gut gerüstet fürs Eintauchen in die Formenvielfalt der Götter und Göttinnen die unglaublich an Zahl war; wie schon erwähnt werden die Bedeutendsten und meisten Unbedeutenden vorgestellt. Nach folgendem Äußeren gruppiert: "Anthropomorphe Götter und Göttinnen; Säugetier-, Vogel, Reptilien-, Amphibien- und Fischgottheiten; Wirbellose und Insektengottheiten; Vergöttlichte Himmelskörper.
Thematisch abermals unterteilt nach: Mythologie, Ikonographie und Kult. Auch hier ergänzt teils farbenreiches Bildmaterial die Götterporträts. Um ein schnelles Auffinden der gewünschten Gottheit zu ermöglichen, ist ein doppelseitigs Verzeichnis, alphabetisch sortiert, gleich am Anfang des Katalogs (fünftes Hauptkapitel) abgedruckt.
Im Anhang des Buches, nach einem interessanten Epilog, sind gelistet: Viele Literaturhinweise analog sortiert nach den Hauptkapiteln im Buch; Quellen- und Bildnachweis sowie eine Danksagung des Autors runden das Werk ab.
Der Epilog "Ein dauerhaftes Erbe" darf keinesfalls überlesen werden, denn weist doch der Autor gar im Schlußsatz auf Folgendes hin, zitiert: "[...] denn der Einfluß der Gottheiten Ägyptens hat die alte Zivilisation mit einer Beharrlichkeit weit überdauert, die historisch gesehen vielleicht unsere eigene überlebt." Desweiteren zeigt er die vielen Einflüsse der altägyptischen Religion auf, die diese auf nachfolgende Religionen, insbesondere auf das Christentum, ausübten. Zahlreiche christliche Ideen, Konzepte, Motive oder Symbole haben ihren Ursprung im alten Ägypten.
(© Mein-Altaegypten.de, im Mai 2007, Anja Semling)
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