Ein Jahr im alten Ägypten so auch der Untertitel des Taschenbuches hatte drei Jahreszeiten zu je vier Monaten mit jeweils 30 Tagen, plus fünf Zusatztage (Epagomene). In genau diese Zeitabschnitte teilt die Autorin Hilary Wilson, eine passionierte Ägyptologin, die Kapitel ihrer Geschichte ein. Diese handelt vorzugsweise vom Alltagsleben im alten Ägypten während des Neuen Reiches (1550 1075 v.Chr.). Der Leser erfährt viel Wissenswertes zu lebensnahen Bereichen wie: Familie, Haushaltsführung, Nahrung, Wohnverhältnisse, Heirat und Geburt, Festlichkeiten, Berufsleben, Bestattungskult sowie Interessantes zu Zauber und Magie und einiges mehr. Sehr detailliert und lebendig beschreibt die Autorin all diese Bereiche, welche sie mit Personen füllt, die darin quasi existent sind und dadurch eine durchgehende Handlung stattfindet.
Hilary Wilson orientiert sich zeitlich am "Naturjahr" welches vom altägyptischen Kalender in seiner Länge leicht abweicht. Zahlreiche Feste der alten Ägypter fielen in die drei Jahreszeiten, was in diesem Buch nur allzu deutlich wird. Basierend auf archäologischen Quellen in Verbindung mit den Erkenntnissen der modernen Ägyptologie hinsichtlich der Authentizität der Lebensumstände und Örtlichkeiten sowie diversen Ereignissen, entspricht die Geschichte wahren historischen Gegebenheiten. Lediglich die Personen sind frei erfunden, doch einige davon gab's namentlich und in ihrer Funktion wirklich (was im Anhang kurz gelistet wird).
Mit dem Lesen dieser ereignisreichen Geschichte taucht der Leser ein in eine Welt, die zur Zeit des Königs "Ramses des Großen" (19. Dynastie) spielt. In der Stadt Waset (heutiges Luxor) nahe dem großen Amun-Tempel, "Ipet-sut", einst das religiöse Zentrum Ägyptens, wird eine längst versunkene Kultur lebendig, in welcher der König als Gott gedacht war.
Zurück zur ägyptischen Geschichte: Nebetiunet, die "Herrin des Hauses", jene um die sich quasi alles dreht, ist somit auch die zentrale Figur der Handlung. Nebet (Abk.) ist eine glückliche Mutter mit sechs Kindern, Ehemann und einer Dienerschaft. Sie ist eine Frau aus der gehobenen Gesellschaftsschicht denn ihr Mann Amenmose, ist ein hoher Beamter. Auch Nebet hat eine verantwortungsvolle Position, sie ist eine kompetente Näherin in den Tempelwerkstätten des Königs.
Im ersten Monat der Überschwemmungszeit beginnt die Geschichte nach heutiger Zeitrechnung im Hochsommer; das Fest der Hathor war noch zugegen.
Nebets große Kinderschar, hält sie ständig auf Trab und sie erlebt mit ihren 30 Jahren viele Höhen und Tiefen im folgenden Jahr. Höhepunkte waren meist dann angesagt wenn es was zu Feiern gab und im alten Ägypten gab es zahlreiche Festlichkeiten, religiöser wie privater Natur.
Zunächst noch macht ihr der jüngste Sohn Chaemwese wegen schulischer Leistungsschwäche Sorgen, ihr zweitältester Sohn Senmut trinkt gerne einen über den Durst und ihre älteste Tochter Mutemwija wird einfach nicht schwanger, sie zieht eines Tages mit ihrem Mann auf die Westseite des Nils in die Arbeitersiedlung der königlichen Gräber. Nebets weitere Kinder: Mutnefert, Neferti und Pachred liebt sie genauso herzlich wie die Erstgenannten und ist immer für sie da. Eines Tages stirbt Nebets Schwiegervater und dessen hinterbliebene Tochter zieht ins Haus der Nebet ein; von da an, ist die Stimmung stets angeheizt, denn Nebets Schwägerin Satra ist eine launische Person. Eine Dienerin verläßt deswegen das Haus. Nebet ist entweder mit ihrer beruflichen Arbeit beschäftigt wobei sie für die königlichen Stoffe für Kleidung und Prozessionen zuständig ist oder sie führt mit ihrer Dienerschaft gemeinsam den Haushalt, was sie sehr gewissenhaft tut.
Nach der Beerdigungszeremonie und Bestattung ihres Schwiegervaters Montmose, welcher im ersten Monat im Winter verstarb, war nun bereits der dritte Monat im Winter angebrochen und die Saatzeit somit noch in vollem Gange. Bald darauf im Sommer, in der Erntezeit, findet das "Fest des Auszugs des Min" statt, ein Erntedankfest und die ganze Familie traf zusammen um froh und heiter zu sein. Zwischenzeitlich hatte Satra den Mann fürs Leben gefunden und einer Heirat sollte nichts mehr im Wege stehen. Eine weiteres tragisches Ereignisse geschieht als Nebets Freundin zwei ihrer Kinder, eines davon bei der Geburt, verlor. Trauer macht sich breit.
Fern ab von der Stadt Waset gingen kriegerische Auseinandersetzungen zu Ende, die einen der Söhne Nebets veranlassten wieder heim zu kehren; die Freude ist groß. Und somit hat Nebet all ihre Familienmitglieder wieder um sich geschart, obschon einige über den Fluss gezogen sind und dort wohnen. Das Jahr ist fast zu Ende bis auf fünf Zusatztage, die den Göttern geweiht sind, einer davon der Göttin Isis. An diesem Tag feiert Nebet mit ihrer Familie den Muttertag, denn Isis war das Idealbild der Frau in der Rolle als weltliche Gattin und Mutter im alten Ägypten.
Die Autorin Hilary Wilson stellt die Frau namens Nebetiunet als eine agile, fleißige, großherzige und gescheite Gemahlin sowie Mutter im alten Ägypten dar. Sicherlich war Nebet auch ein für altägyptische Lebensumstände ganz gutes Leben beschieden weil sie der Oberschicht angehörte und nicht unter den Ärmsten der Armen rangierte. Die ägyptologischen Forschungsarbeiten konnten bislang viel mehr die alltäglichen Lebensbereiche der Frauen und auch Männer aus den gehobeneren Gesellschaftsschichten beleuchten, da viele bildliche und textliche Quellen jene beschreiben und ein genaures Bild aufzeigen; vorzugsweise was die ägyptische Frau betrifft aus der Zeit des Neuen Reiches und später.
Der König in seiner Rolle wird in dem Buch lediglich am Rande erwähnt und wie schon eingangs vermerkt erschließen sich dem Leser sehr viele Details aus dem alltäglichen Leben der alten Ägypter, so z.B. was sie aßen, wie sie ihre Toten bestatteten oder wie eine Geburt vonstatten ging. Diese Geschichte ist eine gelungene Mischung aus historischen Tatsachen und Darstellungen von handelnden ägyptischen Personen in ihrem Umfeld.
Im Anhang beschreibt die Autorin den altägyptischen Kalender und die Personen in ihren Verwandtschaftsbeziehungen. In Stichworten: die Familie, die Dienstboten, Beamten und Kollegen sowie Mitglieder des Königshauses.
Zur ergänzenden Wissensvermittlung findet sich im Anhang auch eine Liste der wichtigsten Götter und Orte zur Zeit des Neuen Reiches im alten Ägypten. Abschließend ein Lageplan der Stadt Waset und Umgebung wo Nebet mit ihrer Familie lebte. Und anfangs noch ein Aufrissplan von Nebets Haus.
Dieses Buch dürfte für Frauen vielleicht noch etwas interessanter sein (als für Männer), da die ganze Geschichte mehr oder weniger aus der Sicht einer Frau spielt, sprich die "Herrin des Hauses" die im Mittelpunkt stehende Person ist. Nicht nur mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und archäologischen Fakten wird der Leser dabei versorgt, sondern eben auch mit menschlichen Gefühlszuständen wie: Heiterkeit, Frohsinn, Trauer, Besorgnis, Ärger oder Stolz, ganz genauso wie die Empfindungen in heutiger Zeit.
Fazit: für Ägyptenliebhaber die viel Wert auf historische Genauigkeit legen und Sinn haben für Zwischenmenschliches im alltäglichen Dasein der alten Ägypter im Dienst der Pharaonen. Zu einem moderaten Preis ist das Taschenbuch zu haben.
(© Mein-Altaegypten.de, im Januar 2006, Anja Semling)
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