Die alten Ägypter bedienten sich ihrer (visuellen) Kommunikation mit den Göttern und Lebenden sowie Toten, neben ihrer Hieroglyphenschrift, auch den malerischen Darstellungen ihrer realen und imaginären Lebenswelt. Die Bilderwelt des alten Ägypten ist einzigartig in der Kunstgeschichte des Abendlandes, keine vergleichbare Hochkultur hat solch ein immenses Bildrepertoire hervorgebracht und umgesetzt über einen Zeitraum der mehr als drei Jahrtausende währte.
Traditionsbewußte aber auch innovative bildhafte Darstellungen, reich an Farbenpracht, prägen die ägyptischen Wandmalereien; wechselseitig ergänzen und bereichern sich Bild und Schrift. Vielfach heute noch zu bestaunen in Königs- und Privatgräbern sowie an Tempelbauten.
Vorliegender opulenter Text-Bildband mit dem Titel "Ägyptische Wandmalerei", erschienen im Jahr 2007 im Verlag Hirmer, führt den Interessierten von etwa 3500 bis 1000 v.Chr. durch die ägyptische Malerei. Beleuchtet werden die Ursprünge, Entwicklungen und Veränderungen sowie die ägyptischen Malereien an sich, anhand vielfältiger Beispiele. Zum Verständnis dieser Bereiche sind im ersten Teil des Werkes die Themen: Gestaltungsprinzipien, Chromatik und Farbsymbolik ausführlich erklärt; desweiteren die Maltechniken. Mit diesen Themenbereichen bietet der Text-Bildband einen in die Tiefe gehenden Einblick in das künstlerische Schaffen.
Um die Bildmotive der ägyptischen Malereien im Buch noch authentischer und lebendiger in ihrer Wirkung auf den Betrachter zur Geltung zu bringen sind diese auf Spezialpapier gedruckt worden; Reflexionen gänzlich ausgeschlossen. Der eigentliche Schwerpunkt des Buches liegt auf diesen bildlichen Motiven, um aber die Bildaussagen und Botschaften besser verstehen zu können, sind die umrahmenden und begleitenden Texte in den einzelnen Kapiteln unverzichtbar.
Gegliedert in acht mit zahlreichen farbigen Fotos versehenen Hauptkapitel, von denen mehreren ganzseitige Farbtafeln eingeordnet sind jene auf Spezialpapier gedruckten Motive umfaßt der größte Teil des Werkes die Epochen (in welche die Geschichte des alten Ägypten eingeteilt ist) und deren Malereien. Diese politischen Blütezeiten sind wie folgt: Altes Reich, Mittleres Reich und Neues Reich, wobei der Autor Wert darauf gelegt hat auch die Zeitepochen vor dem Neuen Reich gründlich miteinzubeziehen. Da aus dem Neuen Reich die Quellenlage besonders ergiebig ist, finden sich zu gleichnamigem Kapitel sogar sieben Bilderstrecken mit herrlichen Malereien aus den Gräbern West-Thebens. Den Anfang zu den Untersuchungen dieser historischen Zeiträume und deren Kunst markiert das Kapitel zur Ur- und Frühgeschichte.
Die allerersten Kapitel (Chromatik, Symbolik, Maltechniken, ...) bilden laut Autor und Ägyptologe Francesco Tiradritti den Schlüssel zum Verständnis der übrigen Teile.
Der Autor, der bereits an der Restaurierung von ägyptischen Grabmalereien zugegen war, untersucht und erläutert anhand ausgewählter Werke der ägyptischen Kunst die Farbgestaltungen und Formen vorwiegend von malerischen Grabdekorationen. Rundplastiken und deren Farbgestaltungen sowie vereinzelte Statuen kommen aber auch zur Sprache. Bemalte Reliefs gehören neben den auf Putz aufgetragenen Malereien zu den primär besprochenen Objekten von diversen geschichtlichen Stätten Ägyptens.
Eingeleitet werden diese Untersuchungen mit dem Kapitel über die Gestaltungsprinzipien in der ägyptischen Kunst. Hier erfährt der Leser zum Beispiel Wesentliches zur Entwicklung der zweidimensionalen Darstellung oder die Tatsache, dass die alten Ägypter eine räumlich-zeitliche Perspektive umsetzten (vier Dimensionen in eine einzige Bildfläche), die sich schon ab den frühesten Epochen findet. Die Unterteilung von Bildflächen in Register oder die typischen Kompositionen werden hierbei auch behandelt.
Das nachfolgende Kapitel widmet sich ganz den Farben und ihrer Symbolik. Ergänzt wird dieses Thema mit einer Grafik, die die vermutliche Farbskala der alten Ägypter zeigt. Der Autor geht darauf ein, wie stark das Farbverständnis der altägyptischen Kultur in der Umwelt verwurzelt ist und weist auf die Komplexität der Unterteilung des ägyptischen Farbspektrums hin. Die ägyptischen Begriffe hedj, kem, descher, wadj bezeichnen zwar Farben aber darüber hinaus auch Konzepte, bzw. Elemente, wie z.B. das Sonnenlicht. Sämtliche chromatischen Begriffe werden in diesem Kapitel ausführlich behandelt sowie der Symbolgehalt der altägyptischen Farbpalette. Desweiteren die farbliche Wiedergabe von Wasser, Landschaften, Lebensraum, Flora und Fauna. Sehr interessant ist hierbei auch der Aspekt, dass für die Ägypter zwei Arten von Schwarz existierten, nämlich ein unbestimmtes Schwarz, das Leere ausdrückt und zum Bereich der Finsternis (kek) gehört und ein klares Schwarz, das zur Wiedergabe greifbarer Dinge verwandt wurde und dem Bedeutungsfeld des Lebendigen (kem) zugeordnet ist. Nachweisen lassen sich weitere Farben mittels gefundener Malpaletten und nachgewiesen werden konnte auch, dass Rosa als eigenständige Farbe benutzt wurde ab dem Neuen Reich; Rosa setzten die Maler beispielsweise für transparente Kleidung ein.
Am verbreitetsten und zugleich die charakteristischste Ausdrucksform in der ägyptischen Malerei ist der flächige Farbauftrag, dies zeigt sich anschaulich in der ersten Farbtafel im Buch wo Bilddetails von Grabdekorationen abgebildet sind. Alles über die Maltechniken, vom Vorbereiten des Untergrundes hinweg zur Vorzeichnung bis hin zur fertigen Ausführung, in gleichnamigem Kapitel wo auch einzelne Farbpigmente vorgestellt sind.
Nach diesen umfassenden Darstellungen folgen die Epochen und ihre Malereien. Die älteste bekannte ägyptische Wandmalerei etwa datiert in Mitte des 4. Jahrtausends v.Chr. ist im Kapitel zur Frühgeschichte beschrieben. Das geschichtliche Umfeld jeder großen Epoche, die nun jeweils folgt, wird eingangs immer erläutert. Außerdem ist noch zu erwähnen, dass der sogenannten Ersten Zwischenzeit ein eigenes Kapitel gebührt.
Der Leser erfährt im Kapitel Das Alte Reich, dass die malerische Nachahmung von Gebäuden aus Holz und Lehmzieglen mit den Farben Rot, Gelb und Schwarz üblich war. Damals wurden die Gräber schon mit Malereien dekoriert, mit Bildprogrammen die Szenen aus dem Alltag wie Jagd, Fischfang oder Ernte zeigen. In diesem Kapitel lernt der Leser auch die zwei chronologisch unterschiedliche Lesarten. Verschiedene Gräber mit deren Malereien aus jener Epoche werden ausführlich besprochen, so mitunter die Symboldeutung der Farben. Übrigens: in diesem Teil weist der Autor darauf hin, dass Vorderansichten in der ägyptischen Malerei äußerst selten anzutreffen sind!
Nach dem Alten Reich begann zwar eine recht düstere Zeit (Erste Zwischenzeit), für das Alte Ägypten war diese aber reich an schöpferischer Tätigkeit, was erhaltene und im Buch besprochene Grabanlagen belegen.
Es folgt das Kapitel über das Mittlere Reich mit dessen Wandmalereien, wo aber auch Beschreibungen zu bemalten Särgen zu finden sind. Im Mittleren Reich sind nun erstmals Abbildungen des Jenseits' auf Sarginnenwänden zu finden. Ebenso sind zahlreiche Grabanlagen mit ihren Malereien vorgestellt, so zum Beispiel jene in Beni Hasan. Wenn auch nicht zu allen Anlagen eine Abbildung eingebunden ist, so sind die textlichen Beschreibungen zu den malerischen Darstellungen aus den Gräbern bemerkenswert gründlich und detailliert.
Bekannte Grabdekorationen, z.B. im Grab des Menna oder Nacht, chronologisch geordnet, sind im Kapitel zum Neuen Reich ausführlich beschrieben, darüber hinaus auch bekannte naturalistische Malereien aus der sogenannten Amarna-Zeit. Im Neuen Reich kommen zu den gängigen Bildprogrammen der Wandmalereien, die sich hauptsächlich um Alltagsaktivitäten drehen noch weitere spezielle Themenfelder hinzu, die sich mit den Bestattungsriten und Jenseitsvorstellungen beschäftigen. Pharaonen und Beamte lassen sich in jener Zeit bei West-Theben Gräber erschaffen, in denen farbenprächtige Dekorationen mit traditionellen Bildthemen, aber auch innovative vorzufinden sind. In diesen Untersuchungen zum Neuen Reich stellt F. Tiradritti fest, dass Darstellungen und Techniken an frühere Epochen anknüpfen.
Eines der am häufigsten belegten Motive in der gesamten ägyptischen Grabausstattung sind übrigens Jagd- und Fischfangszenen in den Sümpfen. Das Werk schließt mit einer sehr knappen Zusammenfassung zu Malereien aus der Spätzeit (inklusive Dritte Zwischenzeit) und Ptolemäerzeit ab. Im Anhang: eine Zeittafel, Literaturhinweise und ein Register.
Dass den Ägyptern eine gewisse Kontinuität in der Ausführung ihrer künstlerisch-malerischen Werken anhaftet ist kaum zu übersehen, doch dass viele Entwicklungen oder Veränderungen sowohl in der Farbgebung als auch bei den Formen und Bildthemen, eingetreten sind, wird mit dem gründlichen Beschäftigen vorliegenden Werkes deutlich. Der Autor Francesco Tiradritti schafft es, den Leser zu entführen in eine vielfältige und visuelle Welt, die uns heute noch zeigt, was sich damals in der realen Welt der Ägypter zugetragen hat obschon vieles von jenen auch in idealisierter Darstellung bildlich festgehalten wurde.
Es lohnt sich für alle Kunstliebhaber und Ägyptenfreunde mit diesem prächtigen Band der unermesslichen Vielfalt an Bedeutungen, die altägyptische Malereien zu bieten haben, näher zu kommen. Mit "Ägyptische Wandmalerei" kann der Leser nicht nur eintauchen in eine alte untergegangene Welt, die selbst eine faszinierende Welt aus Bildern schuf, sondern die Sprache jener Bilder der alten Ägypter, die sie in ihren Malereien festhielten sozusagen selbst lesen lernen.
Was allerdings nicht explizit behandelt wird im Buch, sind die einzelnen bildhaften Hieroglyphenzeichen; lediglich das Einlautzeichen "t" kommt im Vorwort zur Sprache. Der Autor konzentriert sich ansonsten ganz auf all' die Motive, die nicht in den Bereich Schrift fallen. Obwohl manchmal ein Motiv quasi auch die Rolle einer Hieroglyphe übernehmen kann.
Beste Aufmachung des Werkes in übersichtlichem Layout und gebundenem Leineneinband plus stabilem Schuber, geben der ganzen Thematik noch das passende "Ambiente". Zur besseren Orientierung in den einzelnen Sachartikeln fehlt leider aber bei der Pagina jeweils die entsprechende Überschrift zu den Unterrubriken (lediglich das Hauptkapitel-Thema ist aufgeführt) das wäre wirklich das einzige kleine Manko.
Fazit: Ein weites Themenfeld, wie das der Malerei der Pharaonenzeit, so großzügig und anspruchsvoll aufbereitet wie mit diesem Text-Bildband, darf eigentlich in keiner Ägyptenbuchsammlung fehlen. Der interessierte Laie und Kenner hat ein Kompendium zurhand, das durch Fachwissen und reichhaltigem Bildmaterial besticht! Die sachkundigen Inhalte in Verbindung mit den herrlichen Farbtafeln auf großem Buchformat leisten einen wertvollen Beitrag zur altägyptischen Kunst. Zudem auf dem neuesten Stand der Wissenschaft.
(© Mein-Altaegypten.de, im Mai 2008, Anja Semling)
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