Die größten im wahrsten Sinne des Wortes Hinterlassenschaften der alten Ägypter sind die Pyramiden, von denen die erste bereits vor mehreren Tausend Jahren erbaut wurde. In der Pharaonenzeit geschah dies in der Epoche des sogenannten Alten Reiches (um 2700 bis 2150 v.Chr.). In der klassischen Ägyptologie zählen die mächtigen Pyramiden zu den Grabstätten der Pharaonen; archäologische Untersuchungen haben dies zweifelsfrei ergeben.
Wie aber wurden diese außergewöhnlichen Bauwerke damals errichtet? Dies ist zentrale Fragestellung vorliegender Dissertation unter dem Titel: "Die Technik des Pyramidenbaus im Alten Ägypten". Zahlreiche Bauvorschläge sind bislang seitens der Wissenschaftler und frühen Archäologen sowie von interessierten Laien, erarbeitet, vorgestellt und in der Fachwelt diskutiert worden; keine einzige ist wissenschaftlich gesichert. Mit diesem Buch liegt jetzt ein neuer Lösungsvorschlag vor, dessen Ansatz in der Kombination zweier archäologisch nachgewiesener Bautechniken mittels Rampen und Seilwinden liegt. Der Autor des Buches, Frank Müller-Römer, ist Ägyptologe und Ingenieur, was betreffend der baulichen und technischen Aspekte des Pyramidenbaus, einen großen Vorteil einräumt. Der Autor führte für seine wissenschaftliche Arbeit auch eigene Feldforschungen vor Ort durch.
Desweiteren erfährt der Leser in dem gründlich aufbereiteten Werk, genaues zu den nachgewiesenen Bautechniken mit denen die Ägypter im Alten Reich zu Werke gingen. Und die Pyramiden aus der Zeit des Alten Reiches sowie des Mittleren Reiches, werden in Bezug auf ihre Beschaffenheit sowie bauliche Zusammensetzung vorgestellt. Ziel vorliegender Arbeit soll aber sein, bisherige Bauvorschläge, die gleichfalls im Buch einzeln dargelegt sind, darunter auch jene erst 2007 veröffentlichte von Houdin (franz. Architekt), zu analysieren und zu überprüfen. Im letzten Teil des Buches stellt der Autor seine eigene Bauhypothese vor. Sein Vorschlag bezieht sich auf die Bauverfahren der Pyramiden des Alten Reiches, explizit der Pyramide von Pharao Mykerinos (Menkaure).
Mit dieser Publikation, veröffentlicht im April 2008 im Verlag Utz in der Reihe "Münchner Studien zur Alten Welt", werden sowohl die Fachwelt als auch interessierte Laien angesprochen. Das Buch beinhaltet zur Veranschaulichung der ganzen Thematik vielfältiges Bildmaterial, wie: Fotos, Grafiken, Modellzeichnungen, Pläne, Skizzen. Gegliedert ist die Dissertation in insgesamt neun Hauptkapitel plus Quellenverzeichnis, dort findet sich einschlägige Literatur zum Thema.
Nach den einleitenden Worten des Autors zu den Pyramiden im Allgemeinen folgen seine Definitionen und Festlegungen für bestimmte Begriffe, bzw. deren Schreibweisen. Dies ist für das Gesamtverständnis seiner Arbeit für den Leser wichtig, da beispielsweise die Begriffe "Schichtpyramide" und "Stufenpyramide", zweierlei hinsichtlich des Prinzips der Bauweisen meinen. Im dritten Kapitel folgt eine Listung der zeitlichen Entwicklung des Pyramidenbaus im Alten Reich und Mittleren Reich. Laut Autor wurden im Alten Reich 25 Pyramiden und 1 Mastaba erbaut, weitere Pyramiden im Mittleren Reich. Diese Tabelle zeigt dem Leser auch, dass die Bauweisen der Pyramiden nicht immer die gleichen waren sondern sich änderten, bzw. sich weiter entwickelten. Darauf wird in einem separaten Kapitel im Buch intensiv eingegangen.
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Schichtbauweise Djoser-Pyramide
(Foto: Stefan Eggers / Pyramidenbau.info)
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Stufenbauweise Cheops-Pyramide
(Foto: Stefan Eggers / Pyramidenbau.info)
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Die weitaus umfangreicheren Kapitel 4 und 5, die auch als Ausgangsmaterial für die danach folgenden vorgestellten Bauhypothesen im Buch (inklusive die des Autors) dienen, geben einen fundierten Einblick in die Bautechniken im Alten Reich und zu den baulichen Befunden aller bekannten Pyramiden.
Im 4. Kapitel "Bautechnik im Alten Reich" sind sehr detailliert und anschaulich die nachgewiesenen Techniken der alten Ägypter artikelweise vorgestellt und beschrieben. Dazu zählen die Werkzeuge, die Hebe- und Transporteinrichtungen, z.B. Rampen. Sowie auch das Bauverfahren und Baumaterial, die Vermessungstechnik und mathematische Kenntnisse. Im Zusammenhang mit den Transportmöglichkeiten die die alten Ägypter für schwere Lasten anwandten, gilt als ziemlich gesichert, dass dies mittels Schlitten bzw. Holzunterlagen geschah, die durch Rinder bzw. Menschen gezogen wurden. Anhand zeitgenössischer Belege/Funde, wie Objekte oder Inschriften bzw. bildhafte Darstellungen (Relief, Malerei) konnte dies nachgewiesen werden. Desweiteren zum Beispiel auch die Verschiebung von Lasten mittels Steinkugeln.
Archäologische Befunde von Pyramiden werden im nachfolgenden 5. Kapitel zu den einzelnen Pyramiden von Königen und Königinnen in Einzeluntersuchungen erläutert. Chronologisch geordnet und beginnend mit der Pyramide des Djoser (3. Dynastie). Hierin kommt auch zur Sprache wie sich der Wechsel von der Schichtbauweise zur Stufenbauweise vollzog und wie sich die Pyramidenarchitektur im Mittleren Reich weiter entwickelte. Desweiteren stellt der Autor fest, dass bei keiner untersuchten Pyramide der 4., 5. und 6. Dynastie (Altes Reich), Schuttablagerung beim Bau senkrecht zur Pyramidenseite angehäuften und später wieder abgebrochenen Rampe, gefunden wurden. Dieses Ergebnis zum Pyramidenbau ist insofern wichtig da einige Hypothesen diesen Aspekt in den Mittelpunkt stellen.
Das 6. Kapitel unter der Überschrift "Bauzeiten der Pyramiden" untersucht die Zeiträume, in der solche gigantischen Bauvorhaben umgesetzt wurden. Von der Planung bis hin zu deren Fertigstellung samt Pyramidenverkleidung und Aufsetzen des Pyramidions. Für die Bauzeit der großen Cheops-Pyramide wird von dem Ägyptologen Müller-Römer 20,2 Jahre angegeben. Wie er auf dieses Ergebnis kommt, erschließt sich aus selbigem Kapitel.
Hat der Leser vorangegangene Kapitel aufmerksam gelesen, weiß er nun um die bauliche Beschaffenheit einzelner Pyramiden Bescheid und kann getrost in das 7. Kapitel "Analyse und Bewertung bisher bekannt gewordener Bauhypothesen" einsteigen. In diesem werden die bislang bekannt gewordenen Bauhypothesen vom Autor analysiert und bewertet. Anzumerken ist, dass die pseudowissenschaftlichen Bauvorschläge nicht vom Autor berücksichtigt werden.
Gleich eingangs besprochen sind die historischen Beschreibungen, der frühen Ägyptenforscher darunter auch Herodot, dem eine recht große Übereinstimmung zu seinen historischen Schilderungen gegenüber heutigen archäologischen Befunden zugesprochen wird. Da es heutzutage viele verschiedene Bauvorschläge gibt, können diese jedoch, laut Autor, in drei Kategorien grob eingeteilt werden in aller Kürze: senkrecht zuführende Rampen, seitlich geführte Rampen, Einsatz von Hebegeräten bzw. Zugeinrichtungen. Die meisten Vorschläge sind mit Illustrationen oder Fotos versehen; jene mit den Rampen als Bauhilfe beziehen sich meist auf die Cheopspyramide.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass keine der Bauhypothesen den Kriterien des Autors Stand hält, da diese Vorschläge überhaupt nicht oder lediglich in einigen Punkten seine Voraussetzungen, die im Buch unter "Grundsätzliche Lösungsansätze für den Pyramidenbau" beschrieben sind, erfüllen.
Das 8. Kapitel über den neuen Bauvorschlag:
Da die archäologisch nachgewiesenen Befunde zu den baulichen Techniken im Alten Reich sowie die Befunde an den noch stehenden Pyramiden für den Bauvorschlag des Autors hohe Priorität haben, hat er mitunter die Pyramide des Mykerinos für seine Arbeit ausgewählt, weil bei dieser die Stufenbauweise, das Verkleidungsmauerwerk und Außenverkleidung stellenweise deutlich zu sehen sind. Der Autor betont aber, dass seine Hypothese auch auf andere Pyramiden aus dem Alten Reich mit Stufenbauweise übertragbar ist. Kurze Rampen und Seilwinden bei diesen Transportverfahren liegt der Ansatz für seinen Lösungsvorschlag. Während seinen Erläuterungen zu den berechneten Baudaten, Bauabschnitte, Bau des Kernmauerwerkes und Anbringung des Verkleidungsmauerwerks der Mykerinos-Pyramide, fließen seine Vorschläge zu den möglichen Bauverfahren mit ein. Immer unter Berücksichtigung auf die vom Autor selbst aufgestellten Prämissen (unter "Grundsätzliche Lösungsansätze für den Pyramidenbau"). Eingestreute Grafiken veranschaulichen einzelne Bauschritte, so z.B. die Anordnung der Rampen auf den Stufen des Kernmauerwerks; Die Bauzeiten für diese einzelnen Bauabschnitte sind akribisch genau berechnet.
Im 9. Kapitel dann: Zusammenfassung und Ergebnisse.
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Steinblöcke der Cheops-Pyramide
(Foto: Stefan Eggers / Pyramidenbau.info)
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Chefren-Pyramide von Osten her gesehen.
(Foto: Stefan Eggers / Pyramidenbau.info)
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Insbesondere das Kapitel mit den zahlreichen Bauvorschlägen zu den Pyramiden zeigt wie ausgiebig sich die Nachwelt schon dafür interessiert hat und wie viele Möglichkeiten es gäbe um solche gewaltigen Bauwerke vielleicht einst erschaffen zu haben. Da die Vorschläge sich primär mit den Techniken auseinandersetzen, wird klar, dass selbst die alten Ägypter für diese Bauvorhaben vor allem Sachverstand, Kraft und Logik brauchten. Im Hinblick darauf, dass diese Bauten letztlich für religiös-kultische Zwecke gedacht waren, erschließt sich dem Leser ein weiterer Aspekt, der die gedanklichen Vorgänge der alten Ägypter betont.
Für Ägyptologen und Laien ohne ingenieurwissenschaftliche Kenntnisse dürfte beim Lesen des Buches das Gesamtverständnis der Themeninhalte durchaus etwas beeinträchtigt sein, da etliche Themeninhalte im Buch vielfach mit wissenschaftlich-theoretisch fundierten Erkenntnissen und Methoden angereichert bzw. erklärt sind. Die genauen Berechnungen und Angaben von Ziffern und Werten geben dem Werk eine sehr fachbezogene Note. Für die Fachwelt und Pyramiden-Kenner, insbesondere jene die sich mit dem Bau der Pyramiden beschäftigen, ist vorliegendes Buch eine große Bereicherung. Sehr solide und fundiert werden die Erkenntnisse und Fakten präsentiert. Darüberhinaus auch für den Laien nachvollziehbar ein in sich stimmiger neuer Bauvorschlag, dem gründliche Studien zum Problem und Materialsammlung vorausgingen. Ob dieser neue Vorschlag die Lösung ist, sei dahingestellt und für den Laien sowieso kaum zu beantworten.
Darüberhinaus gibt das Werk einen guten Einblick in die Welt der Pyramiden und was die Wissenschaft bislang herausgefunden hat hinsichtlich unterschiedlicher Bautechniken. Vieles zum grundsätzlichen Aufbau (Kernmauerwerk, Verkleidungsschicht etc) einer Pyramide, ist mit diesem Werk sehr schön beschrieben.
Für das Verständnis des interessierten Lesers sind aber nicht unbedingt ägyptologische Vorkenntnisse notwendig. Themen außerhalb des Kernthemas "Pyramidenbau" werden nicht behandelt, die für die Erforschung der Pyramiden oftmals herangezogen werden, so beispielsweise der religiöse oder mythische Aspekt.
Möge diese neue Bauhypothese eine weitere Diskussion anstoßen, die die Wissenschaft auf eine weitere Spur bringt, übereinstimmend endlich das Rätsel um den Pyramidenbau vollständig zu lösen.
(© Mein-Altaegypten.de, im Juni 2008, Anja Semling)
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